Vor einigen Jahren habe ich das Buch von Katja Oskamp, Marzahn mon amour, gelesen. Sie erzählt in dem Buch die Lebensgeschichten von Menschen, die sie bei ihrer Arbeit als Fußpflegerin in einem Fußpflegesalon mitten in Marzahn kennenlernt. Es sind berührende Geschichten von unterschiedlichen Menschen, die in Marzahn wohnen. Am Ende des Buches angekommen wollte ich mich am liebsten sofort Richtung Marzahn aufmachen und all die Menschen, die in dem Buch vorkommen, kennenlernen. Hab ich natürlich nicht gemacht. Aber …
Letztes Wochenende war ich wieder in der besten Berlin WG, die Berlin Tochter besuchen. Es war zwar ziemlich kalt, trotzdem wollten wir uns draußen bewegen, und so kam es, dass wir uns den Grünen Hauptweg 7 ausgesucht haben, der vom Volkspark Friedrichshain über Marzahn-Hellersdorf bis zum U-Bahnhof Hönow führt. Allerdings sind wir nicht von Friedrichshain gestartet, sondern haben aufgrund der Minusgrade die ersten 11 km gemütlich mit der S-Bahn zurückgelegt. Trotzdem lagen noch etwa 11 km vor uns, quer durch Marzahn bzw. Marzahn Hellersdorf. Ich sags gleich vorweg – ich habe keine der Personen aus Marzahn mon amour getroffen 🙂 aber ein Gefühl der Vertrautheit hat sich sofort eingestellt, als wir den Plattenbauten näher kamen.
Der Weg war sehr gut ausgeschildert und wir haben auch schnell gemerkt, dieser Berliner Bezirk hat einiges mehr zu bieten als Plattenbauten. Ziemlich gleich zu Beginn unseres Spaziergangs bin ich sogar buchstäblich „in die Knie gegangen“, ein Kniefall vor einem Bezirk mit vielen Vorurteilen sozusagen. Eine vereiste Pfütze, die leicht mit Schnee bedeckt war, wurde mir zum Verhängnis. Zum Glück wars nicht weiter schlimm und ich konnte gut weiter laufen.
Wir kamen an einer Gedenkstätte eines Zwangslagers für Sinti und Roma vorbei. Zehn Ausstellungstafeln informieren hier über die Geschichte des Lagers und erinnern an das Schicksal der dort internierten Menschen. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Biografien der Opfer. Lange haben wir hier gestanden über Einzelschicksale gelesen und waren tief berührt – wir wussten nicht, dass es hier ein solches Arbeitslager gegeben hat.
Danach führte uns der Weg hauptsächlich durch die Plattenbauten hindurch. Was mich dann aber besonders beeindruckte, war Alt-Marzahn mit seinen niedrigen Häusern, der Dorfkirche und einer alten Mühle. Hier wurde auch die Berlin Tochter ein wenig nostalgisch, als wir an der Einrichtung vorbei kamen, in der sie vor Jahren ein Praktikum absolviert hat.





Im Park, der quer durchs Gewerbegebiet führt, haben wir eine kurze Rast gemacht. Leider hatte ich, obwohl wir sehr vorsichtig waren, einen zweiten Kniefall. Diesmal mit aufgerissener Hose und blutigem Knie. Zum Glück war es das andere, dafür etwas schmerzhafter.
Hier im Park haben wir auch plötzlich den Ruf von Wildgänsen gehört. Ein Blick zum Himmel – eine wunderschöne Formation einer großen Wildgänseschar. Wir standen staunend bis die Schar am Horizont verschwunden war. Einzigartig!
Zu diesem Zeitpunkt waren wir aber auch schon ziemlich durchgefroren und mein Knie machte mir zu schaffen. So haben wir den Weg etwas abgekürzt, haben uns in einem Einkaufszentrum aufgewärmt und der Alice Salomon Hochschule noch einen Besuch abgestattet. Hier hat die Berliner Tochter studiert und ihr wurde dann auch ein wenig wehmütig zumute.
Ein wirklich schöner Ausflug in einen mit Vorurteilen behafteten Bezirk Berlins wurde für uns so zu einem Highlight des Wochenendes.
Eine ganz tolle Rezension des Buches von Katja Oskamp findet ihr übrigens auf Vogels Buchblog Spätlese. Hätte ich das Buch nicht schon gelesen, nach der Rezension hätte ich es sicher getan.
4 Antworten zu “Marzahn mon amour”
Zur Marzahner Dorfkirche und dem Roma Denkmal möchte ich nach Deiner Schilderung jetzt auch gern sofort aufbrechen, wenns nicht so arschkalt wär und ich nicht den hoffentlich geheizten Zug woandershin erwischen wollte. Danke vielmals!
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Danke und schön, dass du Lust bekommen hast gleich aufzubrechen. Das ist genau was wir wollen. Ich hoffe, dein Zug war geheizt – meiner wars nämlich nur mäßig auf der Heimfahrt nach Wien.
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Dieses Lager für Sinti und Roma in Marzahn spielt in Regina Scheers „Gott wohnt im Wedding“ eine Rolle, dort hatte ich erstmals davon gelesen. Auch ein wunderbarer Roman, den ich allen, die an Geschichte und Geschichten von Berlin interessiert sind, empfehlen kann.
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Vielen Dank für den Buchtipp Anke! Hatte schon davon gehört – jetzt noch ein Grund mehr das Buch auch wirklich zu lesen!
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