Die Vielfalt der autonomen Provinz Vojvodina (Geschichtsstunde mit Johannsen)

Als ich nach Serbien zog, wusste ich nur wenig über die Geschichte der Vojvodina. Ich dachte mir: „Ist doch Serbien ist doch logisch, dass alle serbisch sprechen.“ Wie naiv ich doch war.

Wer die Vojvodina kennt, weiß, die Menschen, die dort leben, unterscheiden sich deutlich von den restlichen in Serbien lebenden Menschen. Es ist ein Zusammenstoß verschiedener Sprachen und Kulturen, die sich gegenseitig beeinflussen. Im südlichen Serbien, das viele Jahrhunderte unter osmanischer Herrschaft stand, gibt es einige türkische Lehnwörter. Doch in der Vojvodina, die teilweise zur Donaumonarchie gehörte, finden sich deutsche, ungarische und andere Lehnwörter und natürlich auch Nachnamen.

In Subotica, der nördlichsten Stadt der Vojvodina, die an der ungarischen Grenze liegt, kann es schon mal passieren, dass die einheimischen Ungarn mit den einheimischen Serben auf Englisch kommunizieren, weil sie einander nicht verstehen.

Oft muss ich lachen, wenn ich Worte wie escajg (=Esszeug), šrafciger (=Schraubenzieher) oder rikverts (=rückwärts) höre. Mein Nachname durch meine Heirat, Fazekas (=Töpfer) ist ein bekannter Nachname und ein Beruf in Ungarn, Teilen der Vojvodina, aber auch im österreichischen Burgenland, das früher auch zu Ungarn gehörte. Ich als Person mit deutscher Muttersprache werde hier nur als „Švabica“ bezeichnet. Ich habe eine sehr gute slowakisch stämmige Freundin hier, die mir erklärt hat, dass als sich hier Tschechoslowaken angesiedelt haben, viele von ihnen ungarische Nachnamen angenommen haben, um sich anzupassen. Daher haben hier viele Slowaken ungarische Nachnamen. Funfact.

Die Hauptstadt und Verwaltungssitz dieser Provinz ist die besuchswerte Stadt Novi Sad, von der hier viele meinen, sie sei schöner als Belgrad.

Hier stand einst die Franz Joseph Brücke

Die Vojvodina besteht aus drei Bundesländern, die in sieben Verwaltungsbezirke aufgeteilt sind, Bačka (deutsch, Batschka), Banat und Srem. Die Bačka wird in nördliche, südliche und westliche Bačka unterteilt und liegt nahe an Ungarn. Der Banat wird in nördlichen, zentralen und südlichen Banat unterteilt und durchläuft den Osten der Vojvodina und den Westen Rumäniens. Srem liegt im Westen Serbiens an der Grenze zu Kroatien und Bosnien und verläuft zwischen den Flüssen Donau und Sava bis Belgrad. Teile des ursprünglichen Gebietes von Srem (Syrmien) liegen auch in Kroatien, in der Gegend um Vukovar.

Wasserturm in Vukovar (Kroatien)
Weingut in Principovac bei Ilok in Kroatien

Sonst noch wissenswert ist, dass die Vojvodina recht flach ist (vor allem die Bačka) und entlang der Donau von einer kleinen Gebirgskette „Fruška Gora“ durchzogen wird.

Verlassenes jugoslawisches Amphitheater mitten im Fruška Gora

Die Vojvodina hat auch sechs Amtssprachen: Serbisch, Ungarisch, Slowakisch, Rumänisch, Kroatisch und Russinisch. Offiziell werden im Serbischen und Russinischen die kyrillische Schrift und in allen anderen Sprachen die lateinische Schrift verwendet. Die Kinder lernen in der Schule beide Schriften und in vielen Schulen wird Sprachunterricht in den jeweiligen Minderheitensprachen angeboten. Den Begriff Russinisch (auch Ruthenisch) hatte ich zuvor nicht gekannt.

Als ich 2009 zum ersten Mal meinen Vladimir in Serbien besuchte, machte der gerade ein Praktikum in einem winzigen Dorf namens „Jabuka„. Jabuka ist das serbische Wort für Apfel und das Dorf ist etwa 15km von der Stadt Pančevo im südlichen Banat entfernt, nahe bei Belgrad. Jabuka war ursprünglich ein deutsches Dorf, und nach dem zweiten Weltkrieg, nachdem die deutsche Bevölkerung dort vertrieben wurde, wurden dort Roma aus Mazedonien angesiedelt. Ich habe das Gefühl, manche Menschen sprechen dort eine Mischung aus Serbisch, Mazedonisch und Romani. Vladimirs bester Freund sagt zu mir immer „so cereja?“, wenn wir uns treffen. Das heißt „was machst du?“ auf Romani. Ich antworte dann immer „beschawa“ (weiß leider nicht, wie man das schreibt, aber so spreche ich es aus) und das soll so viel heißen wie „ich steh hier nur so rum“.

Die herzliche Gastfreundschaft der Roma in Jabuka
Im Sommer fahren Fiaker durch die Straßen und verkaufen „Lubenica“ (=Wassermelone)

Diese Fahrten nach Serbien haben bei mir ein starkes Interesse an meiner eigenen familiären Geschichte und Herkunft geweckt. Die Großmutter meines Opas väterlicher Seite wurde noch in Pančevo geboren, ging aber dann nach Wien. Ihre Eltern und Großeltern müssten aber irgendwo in Pančevo begraben liegen. Wer weiß? Meine Großmutter mütterlicher Seite stammt aus dem Banat auf rumänischer Seite aus einem kleinen Dorf names „Liebling“ nahe Timisoara. Sie musste 1944 von dort fliehen und ihre Flucht führte sie unter anderem auch durch Vrbas, wo ich auch sechs Jahre gelebt habe. 2012 haben sich Doris, ich, meine Oma und ihre Schwester zusammen getan und sind nach Liebling gefahren. Nahe Liebling im Ort Detta haben wir sogar einen Cousin meiner Oma gefunden, an dessen Adresse sie sich noch erinnern konnte und der dort tatsächlich noch wohnte. Er konnte es gar nicht fassen, als wir vor seiner Türe standen.

2010 zogen wir dann zusammen nach Vrbas, Vladimirs Heimatstadt, die sich in der südlichen Bačka befindet. Die Bačka ist komplett Flach. Unterwegs sieht man immer nur die unendlichen Weiten der Felder vor sich, nicht einmal ein Hügel in Sicht. Vor dem zweiten Weltkrieg lebten hier ca. 50%Deutsche und 40% Ungarn. Ungarisch sprechende Leute gibt es hier heute noch, aber Deutsche kaum noch. In den Häusern der Deutschen wurden nach dem zweiten Weltkrieg Familien aus Montenegro angesiedelt. Von der serbischen Bevölkerung geht die Meinung aus, die Montenegriner seien faul, unhöflich und hochnäsig. Vladimirs Tante ist mit einem Montenegriner verheiratet und der kommt mir schon manchmal sehr großkotzig vor. Außerdem und das ist die reine Wahrheit, sagen die Montenegriner, wenn eine Frau ein Kind erwartet: „Hauptsache es ist gesund und ein Junge.“ Mir wurde gesagt, dass das sehr wichtig ist und dass es eine Schande ist, wenn das erste Kind ein Mädchen ist oder Mann gar nur weibliche Nachkommen hat. Ich habe dazu einen paar Jahre alten Artikel darüber gelesen, dass Frauen aus Montenegro nach Serbien kommen, um in Montenegro verbotene Gentests zu machen und abzutreiben, wenn sie ein Mädchen erwarten. Hier der Artikel auf Englisch. Einfach abartig.

Hotel Bačka in Vrbas

Meine Eltern haben einen guten Freund, dessen Urgroßvater in Vrbas begraben liegt, und es war sehr spannend, hier die drei alten deutschen Friedhöfe zu durchforsten und sein Grab zu suchen, dass wir leider nicht fanden. Ein andermal bummelten Vladimir und ich durch die Stadt, als ein Auto anhielt und die Leute uns auf Englisch nach dem Weg fragten. Wie sich herausstellte, war es eine deutsche Familie, die ebenfalls das Grab des Großvaters suchte. Durch Zufall haben sie uns deutschsprachige getroffen und im Endeffekt waren wir dann ihre freiwilligen Tourist Guides.

Alter deutscher Friedhof beim Bahnhof in Vrbas

2016 ging unsere Lebensreise weiter nach Šid in Srem, das nur 10km von der kroatischen Grenze, 30km von der kroatischen Stadt Vukovar, 30km von der bosnischen Grenze und 40km von der Hauptstadt des Bundeslandes Srem, Sremska Mitrovica (römisch Sirmium) entfernt ist. Hier ist die Mentalität ganz anders als in Vrbas und auch die Landschaft gestaltet sich wenigstens etwas hügeliger. Srem ist auf serbischer und auch auf kroatischer Seite ein bekanntes Weinbaugebiet. Viele unserer bekannten haben kleine Weinberge und Obstgärten und jeden Herbst werden wir dann verköstigt mit frischen Früchten, Wein, Sturm und Schnaps.

Der Fluss Sava teilt die Stadt Mitrovica in die Teile Sremska Mitrovica und Mačvanska Mitrovica. Sremska Mitrovica gehört zur Vojvodina und Mačvanska Mitrovica gehört zu Zentralserbien.

In Šid leben Serben, Kroaten, Bosnier, Slowaken, Russinen und eine Österreicherin. Nur 10km von Kroatien befinden wir uns an einer EU-Außengrenze und mittlerweile auch an einer Grenze zum Schengenraum. Und an einer der Balkanflüchtlingsrouten. In unserer Stadt befindet sich ein Geflüchtetenlager und im Bezirk zwei weitere. Soweit ich es verstanden habe, leben in den Lagern hauptsächlich Geflüchtete aus Iran, Afghanistan und Syrien. Ein paar von ihnen durfte ich persönlich kennenlernen, doch diese Bekanntschaften sind immer recht kurzweilig, da sie natürlich weiter möchten, in die EU. Wer hier schon mal das Innere eines dieser Camps gesehen hat, fragt sich wahrscheinlich, was mit den EU Geldern passiert, die Serbien für die Instandhaltung dieser Camps kassiert.

Geflüchteter verkauft Sachen an der Straße in Šid

Natürlich gibt es noch so viele schöne Städte und Orte in der Vojvodina, die einen Besuch wert sind. Dort zu wohnen hat mein Leben sehr bereichert. Ich finde, sie setzt sich sehr vom Rest Serbiens ab. Die Vielfalt an Sprachen, Kulturen und Landschaft ist etwas ganz Besonderes und findet sich meiner Meinung nach in keinem anderen osteuropäischen Land.

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