Šid – Novi Sad – Belgrad

Endlich bin ich wieder in Serbien. Nachdem ich den ganzen Sommer nicht hier war, hatte ich schon große Sehnsucht nach dem Ort, der so widersprüchliche Gefühle in mir auslöst. Hier leben meine Tochter, mein Schwiegersohn und meine Enkelkinder. Und viele Menschen, die ich inzwischen zu Freund:innen und guten Bekannten zähle. Eine Reise nach Serbien ist für mich immer auch ein wenig eine Reise in die Vergangenheit. In die Vergangenheit deshalb, weil mich vieles hier an meine Kindheit erinnert. Und oft sage ich scherzhaft: Hier sind sie um 50 Jahre hinter der Zeit. Und widersprüchliche Gefühle deshalb, weil ich das Leben, wie ich es hier erlebe, einerseits liebe und es aber auch Unbehagen auslöst.

Dank Homeoffice und nahem Pensionsantritt kann ich mehrere Wochen bleiben und wir haben einiges an Ausflügen geplant. Als ich ankomme, bin ich erst einmal irritiert ob des veränderten Stadtbildes. Der Sturm, der im Juli durch viele Länder getobt hat, hat auch hier in Šid schlimme Schäden angerichtet. Im nahen Park fehlen fast alle Bäume und bei einem Ausflug in meinen Zauberwald Lipovača bin ich tief betroffen von dem Ausmaß an Zerstörung. Viele der altbekannten Wege sind nicht begehbar, weil die Bäume noch kreuz und quer herumliegen. Die Aufräumarbeiten sind im Gange, aber es wird noch lange dauern, bis alle Schäden behoben sind. Die Schäden an den Häusern sind zum Großteil schon behoben.

Eine Freundin hier in Šid hat mir erzählt, dass sie sich während des Sturms mit ihrer Tochter in der Wohnung eingeschlossen hat. Als sie nach Abklingen des Sturms nach draußen ging, waren viele Menschen auf den Straßen und alle waren sprachlos. Einige meinten, so große Schäden habe nichteinmal der letzte Krieg verursacht.

In meiner zweiten Woche kommt die Berlintochter angeflogen. Sie will natürlich viel Zeit mit ihrer Schwester und Nichte und Neffe verbringen, aber wir haben auch ein paar Ausflüge geplant. Ein Familienausflug führte uns

nach Novi Sad auf die Burg Petrovaradin (Festival Liebhaber kennen sicher diesen Veranstaltungsort des Exit Festivals)

Es ist noch sommerlich warm und auf Empfehlung einer Freundin fahren wir nach Novi Sad, um uns die Ausstellung über die erste Frau von Albert Einstein anzusehen. Als Kulturhauptstadt 2022 bot Novi Sad ein vielfältiges Angebot und die multimediale Ausstellung „We are one Rock“ (Einstein) auf der Burg Petrovaradin ist mit 3-D Animationen, Hologrammen und Skulpturen zur Dauerausstellung geworden. Die Ausstellung wirkt sehr stark visuell, die Mileva Marić Einstein und ihr Werk im Fokus hat. Bei der Ausstellung handelt es sich um eine Kunstinstallation, die die Besucher mitten ins Geschehen führt. Es gibt kein Tageslicht und die Räume sind in hell und dunkel unterteilt. Mileva Marić Einstein war geborene Serbin mit einem bewegten Leben in mehreren Ländern an der Seite von Albert Einstein. In der Ausstellung geht es sowohl um die gemeinsame Forschung des Paares als auch um deren Privatleben. So haben wir erfahren, dass das Paar noch vor ihrer Hochzeit eine Tochter bekommen hat (Lieserl), deren Verbleib bis heute ungewiss ist und von den beiden Söhnen einer an Schizophrenie erkrankt ist und Albert Einstein sich seit dieser Diagnose von ihm abgewandt hat. Angesichts der Tatsache, dass es kaum Material über das Leben und die wissenschaftliche Arbeit von Mileva Marić gibt, basiert das künstlerische Material zum größten Teil auf den Briefen, die Mileva und Albert hinterlassen haben. Wir waren auf jeden Fall beeindruckt!

Auf der Burg waren wir ja schon öfters und auch sie können wir wärmstens empfehlen. Man hat einen schönen Ausblick über die Donau und die Stadt dahinter und die Turmuhr erinnert mich immer an Graz. Das nächste Mal wollen wir eine Führung durch die Katakomben unter der Burg machen, mit einer Tunnellänge von 20 km. Vom Museum aus kann man durch einen Tunnel zum 40 m tiefen Brunnenschacht gehen. Die Kinder fandes es „creepy“ 🙂

Der Weg von Šid nach Novi Sad ist ein wenig abenteuerlich. Da wir nicht über Kroatien fahren wollen, müssen wir quer durch den Nationalpark Fruška gora fahren, die Straßen sind schmal, kurvig und in wirklich schlechtem Zustand. Wir werden allerdings mit tollen Ausblicken und einer traumhaften Natur belohnt. Auf dem Rückweg bleiben wir dann auch bei einem „lost place“, einem Amphitheater, stehen und gehen eine Runde im Wald.

Einen weiteren Ausflug unternehmen wir nach Belgrad. Diesmal nur wir drei Mädels. Die bekannten Sehenswürdigkeiten haben wir uns schon bei diversen vergangenen Besuchen angesehen. Die orthodoxe St. Sava Kirche zum Beispiel, den verrückten Kreisverkehr am Trg Slavia, den man nur unter Lebensgefahr überqueren kann, die schöne Fußgängerzone mit den alten Geschäften, die an der Burg Kalemegdan endet. Natürlich schlendern wir auch diesmal hier durch. Aber wir gehen dann vor der Burg hinunter an den Sava und schlendern bis zur Mündung in die Donau und können so die Burg von der Promenade aus bewundern. Unterwegs kommen wir zufällig an der österreichischen Botschaft vorbei.

Was beim verrückten Kreisverkehr an Zebrastreifen und Fußgängerübergängen fehlt, ist hier fast zu viel 🙂 . Tatsächlich haben die Fußgänger dann auch überall gleichzeitig grün und alle gehen kreuz und quer.

Wir haben uns schon im Vorfeld ein Restaurant rausgesucht, das im schnuckeligen böhmischen Viertel Belgrads liegt. Von beiden sind wir hellauf begeistert. Im VegANGELov essen wir hervorragend und auch dieser Stadtteil gefällt uns sehr gut.

Danach fahren wir weiter, um uns den Topčider Park anzusehen mit der Residenz von Fürst Miloš Obrenovićs und der aufgelassenen Bahnstation. Auf Google Maps hatten wir uns einen Parkplatz rausgesucht und als wir ankommen, hui, der gehört zu einer militärischen Einrichtung – aber der Parkplatz ist ziemlich leer. Kurzentschlossen parke ich ganz am Ende, aber zur Sicherheit frage ich am Wachhäuschen nach, ob ich hier parken darf (die serbisch sprechende Tochter will sich lieber nicht outen…). Nach kurzem Hin und Her mit meinem schlechten Serbisch und seinem noch schlechteren Englisch müssen wir leider wieder fahren, es dürfen nur Autos mit serbischem Kennzeichen parken. Komische Vorschriften aber auch. Dafür finden wir dann direkt am historischen Bahnhof Topčider einen Parkplatz – auch wenn ich dabei unwissentlich gegen eine Einbahnstraße fahre. Der heute verlassene Bahnhof war in früheren Zeiten der Empfangsbahnhof von Staatsgästen. Im zweiten Weltkrieg wurde er leider zerstört, und es ist nur noch die königliche Wartehalle erhalten geblieben.

Vom Park sind wir ein bisschen enttäuscht, wir hatten ihn uns wesentlich größer vorgestellt. Sehr beeindruckend fanden wir aber die riesige Platane vor der Milos Residenz. Sie ist etwa 150 Jahre alt, über 30 Meter hoch mit einem Stammumfang von über 7 Metern.

Leider ist es schon spät und nachdem bei meinem Auto das linke Vorderlicht kaputt ist, müssen uns wir auf den Rückweg machen, um noch bei Tageslicht nach Hause zu kommen. Ich habe wirklich keine Lust, mich mit der serbischen Polizei auseinanderzusetzen. Wir wollen aber noch viel mehr von Belgrad sehen. Auf der Liste stehen noch das Nikola Tesla Museum und der Stadtteil Zemun und noch vieles mehr. Ein bisschen verliebt habe ich mich heute in diese Stadt – Belgrad, wir kommen wieder.

Was unternehmen wir sonst noch so? Wir gehen viel spazieren. Manchmal alleine, manchmal mit den Kindern, manchmal mit einer Freundin, die sich sehr gut mit Wildkräutern auskennt und so kosten und sammeln wir diverses Grünzeug. Die Umgebung ist auf jeden Fall sehr schön und wir genießen den ungewöhnlich warmen Oktober.

Apropos ungewöhnlich warmer Oktober. Ich wollte eigentlich das Eisbaden üben in einem Fass, das wir dem Nachbarn abgeluchst haben. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Die Coronajahre waren für mich nicht nur Coronajahre, ich bekam Ende 2020 die Diagnose Brustkrebs. Das ganze Jahr 2021 habe ich mit Chemotherapie, OP, Bestrahlungen und wieder Chemotherapie verbracht. Mein Immunsystem hat sich davon noch immer nicht erholt und ich habe schon während aller Behandlungen nach zusätzlichen alternativen Behandlungsmethoden gesucht. Ein Buch, das ich in der Zeit gelesen habe (ich habe viele gelesen, einige Bücher waren hilfreich und lebensverändernd, andere waren einfach nur zum Wegwerfen) hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Es war das Buch von Sebastian Purps-Pardigol, Leben mit Hirn. Er hat in dem Buch auch die Wim Hof Methode vorgestellt. Es geht bei der Methode um eine spezielle Atemtechnik und ums Eisbaden bzw. kalt Duschen. Nachdem ich Wim Hofs Buch auch noch gelesen hatte, war ich überzeugt, dass mir beides helfen kann, mein Immunsystem wieder auf Vorderfrau zu bringen. Die Atemtechnik mache ich seither täglich morgens – das sind etwa 10 Minuten – und kalt Duschen mache ich sporadisch. Letzten Januar habe ich dann erstmals mit meinem jüngsten Bruder das Eisbaden ausprobiert. Es war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, schmerzhaft eigentlich, aber danach waren wir euphorisch und fast ein wenig berauscht. Für diesen Winter habe ich mir jedenfalls vorgenommen, regelmäßig eiszubaden und wollte eben schon mal hier in Serbien damit starten, um mich langsam an das wirklich kalte Wasser zu gewöhnen. Und jetzt ist es viel zu warm. Bei 30 Grad am Nachmittag ist das Wasser eher eine willkommene Abkühlung. Aber – auch wenns nicht so kalt ist, steige ich trotzdem jeden Morgen ins Fass. Ich bin schon gespannt, ob ich dranbleibe, auch wenns eisig wird. Und ob es hilft. Ich werde berichten!

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